Familie Rodatz

(Anmerkung 1)

Hans Albert Rodatz stammte aus einer norddeutschen Kaufmannsfamilie, die sich bis etwa 1500 nach Grabow in Mecklenburg zurückverfolgen lässt (Anm. 2). Sein Urgroßvater Joachim Christoph Rodatz erhielt 1729 Bürgerrecht in Hamburg. Hans Albert wurde am 7. April 1816 in (16816) Kuhhorst als ältestes von zehn Kindern des an wechselnden Orten tätigen Steuerrats Arnold Eduard Rodatz und dessen erste Ehefrau Amalia, geb. Mayer aus Eldenburg, geboren.

Der wagemutige junge Mann investierte all sein Geld in Bremerhaven in den Bau eines eigenen Schiffes. Auf diesem segelte Kapitän Rodatz mit acht Mann Besatzung 1843 zum Roten Meer, um zu versuchen, sich dort am Handel zwischen Arabern und Indern zu beteiligen. In den Häfen Massawa (an der Küste des heutigen Eritrea) und Dschidda vermochte er aber keine profitablen Geschäfte zu machen. Da Mitte Januar 1844 seine Geldreserven fast verbraucht waren, musste Albert Rodatz von Suez aus einen Vetter in Hamburg, den Kaufmann Hermann Dreyer, um Hilfe bitten, der 1831 zusammen mit William O´Swald eine erfolgreiche Handelsgesellschaft gegründet hatte. Diese Firma gewährte dem 27jährigen Kapitän sogleich einen Kredit von 20.000 Mark, wofür dieser seine Brigg „Alf“ als Pfand geben musste, und beauftragte ihn, nach Handelsmöglichkeiten in Ost-Afrika zu suchen.
Zunächst verdiente sich Kapitän Rodatz aber einiges Geld, indem er ägyptische Pilger von Suez nach Dschidda, dem Hafen in der Nähe von Mekka, und zurück auf seinem Schiff trans-portierte. Im Herbst segelte er wieder zum aegyptisch-osmanischen Hafen Massawa, wo die meisten internationalen Handelskarawanen aus dem Inneren des nördlichen Sudan und des nahen Äthiopien ankamen, um zu erkunden, welche Waren die Bewohner des Hinterlands anzubieten hatten.
In Tigray im Norden Äthiopiens suchte Rodatz den deutschen Botaniker Dr. Wilhelm Schimper (Anm. 3) auf, der dort als Berater des einheimischen Herrschers Wubé tätig war und in der kleinen, von ihm verwalteten Provinz „Antitchau“ landwirtschaftliche Projekte ent-wickelte. Schimper vermittelte Rodatz eine Privataudienz bei Wubé, in der über die Lieferung von Gewehren und anderen gewünschten Produkten aus Europa verhandelt wurde. Rodatz konnte 60 Esel erwerben, die er an der arabischen Küste zu verkaufen plante. Außerdem nahm er die ornithologische Sammlung von 1200 Vögeln des britischen Siedlers Parkyns mit, die dieser nach England schicken wollte.
Anfang Dezember 1844 war Kapitän Rodatz wieder in Massawa, segelte mit dem französischen Vizekonsul Degoutin an Bord zur Insel Dahlak Kebir (wo er sechs Esel und 20 Ziegen kaufte) und dann weiter zum kleinen Hafen Siarra, um Gummi arabicum und Myrrhe zu laden. Im März 1845 erreichte er Sansibar. Von dort kehrte er nach Hamburg zurück und berichtete über seine außergewöhnliche Erkundungsreise in einer populärwissenschaftlichen Zeitschrift (Anm. 4)
Sein geheimer Bericht für die Firma O´Swald & Co., der die wirtschaftlichen Möglichkeiten des Handels mit Sansibar und ostafrikanischen Häfen offen legte, veranlasste die Firma, außer der „Alf“ auch die Brigg „Afrika“ zu erwerben und das neue Schiff mit Rodatz als Kapitän im September 1846 auf eine zweite Reise zu schicken.
Im Mai 1847 kam die „Afrika“ in Massawa an, und Rodatz erwartete dort Karawanen mit Elfenbein, Gummi arabicum, Wachs, Fellen und Senna Blättern (ein Mittel gegen Verstopfung). Aber weil im Hinterland Unruhen ausgebrochen waren, trafen die gewünschten Waren an der Küste nicht ein,bis auf eine Karawane mit Sklaven, die auf der kleinen unbewohnten Insel Shayk Sa´id Jezira heimlich bei Dunkelheit zum Kauf angeboten wurden.
In der Wartezeit im Sommer 1847 unternahm Albert Rodatz Erkundungs- und Jagdausflüge ins Hinterland von Massawa, begleitet u.a. von seinem jüngeren Bruder Johannes (* Billwärder 24.06.1822, + Finkenwerder 24.05.1872).
Da Kapitän Rodatz den Eindruck gewann, dass die Handelsmöglichkeiten in Massawa unsicher seien, kehrte er im Herbst nach Hamburg zurück und empfahl der Firma O´Swald, eine ständige Handelsstation auf Sansibar einzurichten. Ihr erster Agent dort wurde 1847-48 der Kaufmann Wilhelm Schmeißer. Rodatz ist durch seine Empfehlung letztlich derjenige, auf den die erste deutsche Kaufmannsstation auf Sansibar zurückgeht und damit der kurzzeitige koloniale Anspruch Deutschlands auf diese Insel.
Auf einer dritten Reise brachte Rodatz mit dem Schiff „Afrika“ Waren aus Hamburg nach Sansibar und tauschte sie gegen afrikanische Ware.
Während der Rückfahrt starb Kapitän Rodatz, an Malaria erkrankt, am 20. September 1849 vor Madagaskar.
Der Wirtschaftshistoriker Percy Ernst Schramm beurteilte die Erkundungsreisen von Albert Rodatz als sehr wichtig für den Überseehandel Hamburger Kaufleute (Anm. 5). Fußend auf seinen Beobachtungen organisierten sie Mitte des 19. Jahrhunderts den Warenaustausch zwischen Ost- und Westafrika mit Kaurimuscheln als Zahlungsmittel.
Wolbert Smidt (Anm. 6) nennt am Ende seines Zeitschriftenartikels Rodatz einen Pionier in der Anfangsphase moderner ökonomischer Globalisierung.


Anmerkungen :
1)    Siehe jetzt auch Wolbert Smidt: „Rodatz, Albert“, in: Siegbert Uhlig (Hrsg.): Enzyclopaedia Aethiopia, vol. 4, Wiesbaden 2010.
2)    Stammfolge der Familie Rodatz, Hamburg 1949. Kapitän Albert Rodatz dort g IX 1.
Am 16. Juni 2012 soll ein Rodatz Familientag in Grabow stattfinden.
3)    Wilhelm Ph. Schimper, * Dossenheim/Elsass 12.01.1808, + Straßburg 20.03.1880. Weitere Angaben über ihn und seine Familie in Brockhaus Enzyklopädie 1973.
4)    Das Ausland. Ein Tagblatt für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker, 19 (1846), pp 127-84
5)    Percy Ernst Schramm: Kaufleute zu Haus und über See. Hamburg 1949.
6)    2011 Associate Professor in Ethnohistory, Mekelle University, Tigray, Ethiopia.

Übersetzt und gekürzt 12.12.2011, Til Schrecker


Der Original Text auf Englisch:

Wolbert G. C. Smidt: (PDF)
Pre-colonial exploration: The sea captain Rodatz in Massawa and Tigray 1843-48 – the quest for a commercial station at the East African coast for Hamburg