Familie Rodatz

 

Denn die große Liebe des Hinrich Rodatz gehört der Musik. Der Spätberufene hat sich als Gasthörer an der Hamburger Musikhochschule eingeschrieben. Als Sohn einer Klavierlehrerin war ihm die Musik nicht fremd. Doch die Zeiten, da er an der Schule stundenlang übte, bis der Hausmeister einschreiten musste, sind längst Geschichte. Jahrzehntelang bleibt das musikalische Talent verschüttet. Paragraphen sind sein Lebensinhalt, nicht Noten. Bis er eines Tages das Recht links liegen lässt und "mehr zufällig" ein Piano ersteht.

Als musikalischer Laie bringt Rodatz seine Ideen, die ihm mal im Schlaf, mal beim Spaziergang in der Natur kommen, auf die Notenblätter. Aber was kann man damit anfangen? 1995 findet er einen verständnisvollen Partner, den Musikpädagogen Johann Holzer aus Barendorf bei Lüneburg. Rodatz komponiert, was das Zeug hält. Mal Lieder, mal Sonaten, mal sogar eine Sinfonie. Holzer bremst: "Die Metrik stimmt nicht." Der Fachmann bringt in Form, was der Autodidakt ungestüm ersonnen hat. Und immer wieder denkt Rodatz dabei an Mozart.

"Er ist eindeutig mein Lieblingskomponist", sagt er. Und zählt auf: "Technik, Fantasie, Einfühlungsvermögen, Kreativität, Rhythmus, Melodie." Moderne Musik dagegen ist ihm ein Greuel. "Stacheldrahtmusik" nennt er sie. "Ich will ja nicht die Musik weiterbringen und mich in einer Orgie von Disharmonien ergehen." Deswegen macht er es den Professoren an der Musikhochschule auch nicht leicht. Neu - das ist für ihn nicht das 21., sondern das 18. Jahrhundert.

Rodatz' erste Begegnung mit Mozart war die Nachtmusik. "Seit ich an der Musikhochschule bin, träumte ich davon, dass ich sie einmal neu interpretieren möchte." Denn mit dieser berühmen Serenade, Köchelverzeichnis Nr. 525, hat es eine besondere Bewandtnis. Neben den vier Sätzen, die heute jeder kennt, hatte das Salzburger Genie einen weiteren Satz erdacht, den er vermutlich selbst aus der Partitur gestrichen hat.

Rodatz hat eine Aufgabe gefunden, in die er sich 15 Monate lang verbeißt. "Das ist triebhaft", bekennt er. "Aber es macht einfach Spaß." Er weiß, dass seinem Mozart lange die Fröhlichkeit, die Leichtigkeit und der Rhythmus fehlten. Dafür hat er ja seinen Johann Holzer. Da wird nicht einfach etwas hinzugefügt, sondern völlig neu gestaltet. Mit jedem Satz entfernt sich das Werk ein Stück weiter vom Original. Bei Mozart spielt ein Streichquintett - zwei Violinen, Viola, Cello und Kontrabass. Bei Rodatz und Holzer kommen Flöte, Oboe, Horn, Trompete, Pauke und Triangel dazu.

Holzers Synthesizer gibt zumindest eine digitale Anmutung, wie das Werk, komplett orchestriert, denn klingen könnte. Mal flüssig, mal wieder wie am Reißbrett zusammengesetzt. Das hört sich streckenweise an, als würde man im Fiaker durch das alte Wien kutschieren. Mal klingen türkische Einflüsse durch. Mal wird das Triangel gezielt als Schlaginstrument eingesetzt. Immer ein wenig Mozart, aber irgendwie auch nicht. "Keine kleine Nachtmusik", steht folgerichtig auf dem Cover der CD-Pressung, "eine kompositorische Auseinandersetzung mit Mozarts berühmtesten Divertimento".

Was hätte Mozart gesagt? "Ich denke, es wird ihm gefallen haben", sagt Rodatz leise, beinahe andächtig. Der emeritierte Musikprofessor Rainer Hecht, bei dem Rodatz an der Musikhochschule die ersten Tonschritte ging, sagt: "Komponist und Arrangeur legen ein interessantes Experiment vor" und verschweigt nicht, dass es schon während der Entstehung des Werks heftige Diskussionen gegeben habe.

Professor Elmar Lampson, der Präsident der Hochschule für Musik und Theater, lässt seinen Gasthörer gewähren. Er hat die CD gehört und denkt vor einer Antwort lange nach. Dann sagt er: "Dass jemand als Laie malt, ist normal. Dass jemand komponiert, einfach aus Freude, ist selten. Und das finde ich großartig. Die Musikkultur ist so breit gefächert wie die Menschen, die etwas Kreatives machen. In diesem Sinne finde ich diese Arbeit sehr gut." Einer Bewertung der neuen "Nachtmusik" wollte sich Lampson lieber enthalten. Schließlich gilt die Kompositionsabteilung als Flaggschiff seiner Musikhochschule. Immerhin findet der Präsident "die Arbeiten komponierender Laien auch für Komponisten interessant ..."

Ob "Keine kleine Nachtmusik" je in der Orchesterfassung zu hören ist, steht in den Sternen. Dafür müssten mal eben 10 000 Euro lockergemacht werden. Na gut, dann arbeitet Rodatz eben weiter. Für seine Hochzeit schreibt er einen Walzer. Und danach ist eine neue Sinfonie geplant. Diesmal eine, "wie sie Beethoven geschrieben haben könnte". Ein musikalisches Genie ist dieser Mann wohl eher nicht. Dafür aber fleißig und enorm kreativ.


Die CD "Keine kleine Nachtmusik" ist zu bestellen bei Hinrich Rodatz, Telefon 04171/69 02 65.